Kennt ihr das? Man denkt, man handelt nach Hausverstand und hat damit eine gemeinsame Basis und stolpert dabei über kulturelle Unterschiede. Gerade in der interkulturellen Zusammenarbeit kann das zu unerwarteten Komplikationen führen. Was für uns selbstverständlich scheint, mag in anderen Kulturkreisen befremdlich oder gar irritierend wirken.
Da kann schon ein gemeinsames Abendessen spannend werden. Wenn ich annehme, dass ich eine für mich lesbare Speisekarte bekomme und dort nach meinen Gelüsten mein Mahl aussuche, so trifft das z.B. in Deutschland oder Australien zu. Jeder platziert seine Bestellung direkt. In Indien liege ich mit dieser Annahme daneben. Da ist schon der Prozess der Bestellung ein wesentlicher Teil des gemeinsamen Abendessens. Es wird jede gefragt, was sie gerne hätte. Auch wenn alle mit allem einverstanden zu sein scheinen, so ist es doch ein langsames Annähern, bis man wirklich weiß, was jede will, wer mit wem welche Speisen teilt und wieviel Speisen ausreichend für alle sein werden. Vegetarisch oder kein Schweinefleisch, gerne scharf oder sehr scharf, Masala Dosa oder Butter Chicken? Es ist sehr unüblich direkt zu sagen, was man will oder mit einer Auswahl von jemand anderem nicht einverstanden zu sein. Alles Hausverstand? Wohl nicht.
Kennt ihr die Erkenntnisse über die Praktiken und Ideen der Elternschaft, die Sara Harkness und Charles M. Super in ihrem Artikel « Themes and Variations: Parental Ethnotheories in Western Cultures» aufgezeigt haben? Und hier müssen wir gar nicht den Ost – West – Unterschied strapazieren, sondern allein in den westlichen Ländern gibt es gravierende Auffassungsunterschiede. Babys in den Niederlanden schlafen täglich zwei Stunden mehr als in den USA. Das war für mich eine Überraschung. Laut Harkness und Super legten die Eltern in den Niederlanden in den ersten Jahren der Kindheit großen Wert darauf, dass ihre Kinder in einem geregelten Tagesablauf ausreichend ruhen oder schlafen, um sie zu ruhigen, fröhlichen und selbstregulierten Kindern zu erziehen. Die amerikanischen Eltern hingegen beschrieben das Schlafverhalten ihres Kindes als angeboren und entwicklungsbedingt.
Die jeweils beobachteten Praktiken und Überzeugungen stellten sich als Teil eines kulturellen Systems dar und nicht etwa als eine intensive Beschäftigung der Eltern mit neuesten Erkenntnissen aus der Kindererziehung. Der Hausverstand hilft auch hier in der interkulturellen Verständigung nicht weiter.
Wir alle sind von Natur aus Kulturwesen und stark geprägt von der Kultur, in der wir aufgewachsen sind. Hausverstand ist also eine sehr lokale Angelegenheit. In der interkulturellen Zusammenarbeit tun wir gut daran, unsere selbstverständlichen Annahmen zu reflektieren und nicht als allgemein gültige Grundlage anzuwenden.