Dem Strand­bad fehlt die Seele

Niemand kümmert sich wirklich darum. Alle machen ihren Job. That's it.

Jeden Moment wird der kleine Junge auf­schreien.

Noch ist er ganz konzen­tri­ert auf den Ball und retourniert gekon­nt jeden Schuss seines Vaters. Voller Energie und Freude ist er beim Fußball­spie­len dabei.

Ich sehe nur den blühen­den Klee über­all. Bei jedem Schritt tritt der kleine Junge auf mehrere Blüten. Es scheint mir nur eine Frage der Zeit, bis ihn eine Biene erwis­cht.

Das Bad in mein­er Heimat­ge­meinde am Bodensee wurde erst wieder neu eröffnet. Die Leute kom­men in Strö­men an diesen wun­der­baren Som­merta­gen.   

Einige Tage später liest man in den unter­schiedlich­sten Medi­en darüber, was sie vom neuen Strand­bad am Bodensee hal­ten. Die einen bemän­geln das zu kleine Schwimm­beck­en, die anderen den Kies beim Spielplatz und die rutschi­gen Fliesen. Einige sind ent­täuscht und wer­den nicht wiederkom­men.

Das neue Bad wurde sich­er gut geplant, es wurde viel investiert und sog­ar der Zeit­plan hat gepasst. Doch es fehlt die Seele.

Das zeigt sich zum Beispiel am Rasen. Dort wo die Kinder, Jugendlichen und Erwach­sene Fußball- oder Fris­bee spie­len ist er nicht gemäht und der Klee ste­ht in Hochblüte. Dort wo er neu gesät wurde, läuft man über eine buck­lige Land­schaft und muss auf­passen, nicht zu stolpern. Auch hier ist das Gras viel zu lang.

Die See­len­losigkeit zeigt sich auch in der Gas­tronomie. Früher standen die Tis­che und Bänke ein­fach im Rasen unter großen Bäu­men, heute sitzt man eingepfer­cht und ungemütlich auf Fliesen. Keine gemütliche Loun­ge­land­schaft oder Ste­hbar der Begeg­nung laden zum Ver­weilen ein. Es scheint, dass das neue Bad am Reißbrett kon­stru­iert und geplant wurde, sich­er mit guter Absicht, jet­zt aber nie­mand da ist, dem es wichtig ist. Nie­mand küm­mert sich wirk­lich darum. Alle machen ihren Job. That’s it.       

Ist es nicht in jedem Team und jed­er Organ­i­sa­tion auch so? Wenn sich nie­mand küm­mert, wer­den die großar­tig design­ten Arbeit­sorte zu freud­losen Arbeitsstät­ten. Es sind immer die Men­schen, die Organ­i­sa­tio­nen gestal­ten und ihnen eine Seele ver­lei­hen. Erst durch engagierte Mitar­bei­t­ende wer­den die Arbeit­splätze zu Begeg­nungs- und Inspi­ra­tionsorten, wo ein Gedanke den näch­sten aus­löst. Sie sind es, die nah­bar sind und auch mal einen per­sön­lichen Gedanken teilen und sich nach dem Wohlbefind­en der anderen erkundi­gen. Die sich aber auch um „Kleinigkeit­en“ wie Grünpflanzen, far­bige Poster oder ein­fach Sauberkeit und Ord­nung küm­mern. Wenn Organ­i­sa­tio­nen diese Men­schen ver­graulen und ver­lieren, bleiben kalte, leblose Hüllen übrig.  

Und der kleine Junge? Als ich vom aus­giebi­gen Schwim­men im See zurück­komme, ist er nicht mehr da.

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Ruth Bolter

Ich teile meine internationalen Erfahrungen mit Menschen an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt. Verbindungen zu schaffen, wo sie nicht offensichtlich sind, ist das, was mich inspiriert und was ich gerne anderen zur Verfügung stellen möchte.