Ungläubig starre ich auf mein Smart-Phone und kann nicht glauben, wie diese Menschen denken. Was hat sie zu dieser Entscheidung gebracht? Warum sehen sie nicht das (vermeintlich) Offensichtliche? Oder sollte ich fragen: „Was sehe ich nicht?“
Sicher ging es uns allen schon mal so – und ich spreche nicht nur von Wahlen in Demokratien.
Es gibt unzählige Publikationen zum Thema Entscheiden. Und gerade in Organisationen ist es ein Dauerthema. Wo sollen Entscheidungen sinnvollerweise fallen? Wer muss eingebunden sein? Kann „Entscheiden“ als Prozess gesehen werden? Wie kommen wir zu schnellen und – hoffentlich – richtigen Entscheidungen? Oder brauchen wir eher mutige Entscheidungen, um für die Zukunft fit zu sein?
Wir bei PerSens glauben daran, dass Entscheidungen in Organisationen zeitnah und so nah wie möglich am Ort des Geschehens bzw. der Themenstellung gefällt werden sollen. Damit das gelingen kann, gilt es weitere Parameter zu beachten. Einer z.B. ist die Frage nach dem Kontext: Wie gut kennen die Entscheider den Kontext?
Essenziell ist allerdings auch, welches Gedankenmodell der Entscheidung zugrunde liegt.
Ein Modell ist die pure «Kosten-Nutzen-Analyse» die gerade in der wirtschaftlichen Denkweise allzu oft als alleiniges Maß der Dinge gilt. Es werden Alternativen geprüft und anhand ihres Nutzens bewertet. Das kann wie ein einfaches Punktesystem gesehen werden. Es gewinnt jene Alternative mit der höchsten Punktezahl. Im kritischen Sinn handelt es sich nicht mal um eine Entscheidung, sondern schlicht um einen Prozess mit einer klaren Vorgehensweise.
Die Logik der Angemessenheit ist ein weiteres Entscheidungsmodell. Dabei orientieren wir uns an unserem Umfeld. Wir fragen uns (unbewusst), welche Entscheidungen heißen meine Kolleginnen gut, welche Normen und Konventionen gelten im Entscheidungsumfeld, was wird von mir in meiner Rolle erwartet. Diese Form der Entscheidungsfindung basiert auf unserer Sozialisation, auf Traditionen und auf dem Erlernten. In einem stabilen Umfeld, wo die selben Traditionen und Gepflogenheiten gelten, fahren wir gut mit dieser Form, fallen nicht auf, bewegen uns auf sicherem Boden.
Doch wie sieht ein Denkmodell für Entscheidungen aus, wenn weder Analyseverfahren noch stabile soziale Sicherheiten gegeben sind? Martin Kornberger fragt sich in diesem Zusammenhang in seinem Buch «Kollektives Handeln in offenen Systemen» wie die Entscheidungsfindung von Diplomaten aussieht. Er beantwortet diese Frage mit dem «Taktgefühl».
Mir gefällt der folgende Abschnitt dazu besonders gut:
Wie das Urteilsvermögen oder der Humor folgt auch das Taktgefühl nicht irgendwelchen Regeln oder Prinzipien. Takt hat mit der Einzigartigkeit einer Situation zu tun, mit der Besonderheit eines bestimmten Kontextes, und lässt sich daher nicht in abstrakten Prinzipien zusammenfassen. Er ist intuitiv, und indem er sich auf die Situation einlässt, leitet er sich weiter an Kognition (Verstehen einer Situation) und an Gefühl (Lesen eines Raumes). (Kornberger, 2024)
Ich würde mir wünschen, dass unsere Entscheidungen viel mehr von diesem Geist geprägt sind. Dabei gilt es, widersprüchliche Dynamiken auszuhalten, das «Dazwischen» wahrzunehmen und somit die Erfahrungen der Vergangenheit in den Kontext einer zu erkundenden Zukunft zu stellen.
Ich hoffe, dass ich zukünftig mit Staunen auf mein Smartphone schauen kann und inspiriert bin von «taktvollen» Menschen, die gelernt haben für die VUCA-Welt zu entscheiden.