Hun­gry spir­its meet wise men

Der Pensionsbeginn ist weit mehr als nur der letzte Arbeitstag – er ist ein tiefgreifender Wendepunkt, der sowohl Mitarbeitende als auch Unternehmen vor besondere Herausforderungen stellt. In dieser Phase geht es zugleich um individuelle Neuorientierung, den herausfordernden Umgang mit Emotionen und um strategische Unternehmensentscheidungen. Wie kann der Wissensverlust vermieden und ein nahtloser Übergang gestaltet werden? Warum ist es entscheidend, «Off-boarding» mit der gleichen Sorgfalt wie «On-boarding» zu betrachten? Und warum kann genau dieses Thema eine Teillösung für den Fachkräftemangel sein?

Pen­sion – ein strate­gisch wichtiges The­ma

Die Pen­sion stellt einen wichti­gen Meilen­stein im Leben aller Mitar­bei­t­en­den dar. In dieser Phase find­et häu­fig eine kom­plette Neuori­en­tierung statt, in der eine wichtige Iden­ti­fika­tions-Säule im Leben ver­loren geht und eine noch unklare Lebenssi­t­u­a­tion bevorste­ht.

Aus Sicht des Unternehmens sind nicht nur punk­tuelle Nach­fol­ge­fra­gen zu beant­worten, son­dern auch ein poten­zieller Know-How Ver­lust aufz­u­fan­gen und langjährige (Kunden)-Beziehungen neu zu knüpfen.

Da wed­er das eine noch das andere von heute auf mor­gen gelin­gen kann, ist in ein­er langfristig ori­en­tierten Unternehmen­skul­tur genü­gend Zeit, Exper­tise und ein zuver­läs­siges Vorge­hen zu empfehlen. Es geht also nicht ein­fach um das Erset­zen ein­er Per­son, son­dern um einen gut geplanten, struk­turi­erten und begleit­eten Über­gang­sprozess. So wie „On-boarding“-Prozessen in Unternehmen oft viel Beach­tung geschenkt wird, so sollen „Off-boarding“-Prozesse als siame­sis­ch­er Zwill­ing betra­chtet und genau­so ernst genom­men wer­den.

Die nach­fol­gen­den Argu­mente wer­den unter­stre­ichen, dass das „Pen­sion­s­man­age­ment“ sowohl men­schlich wie auch unternehmerisch eine große Her­aus­forderung darstellt, die als bedeu­ten­der Aspekt der langfristi­gen Unternehmensen­twick­lung beachtet wer­den soll. Ein respek­tvoller, begleit­eter Prozess wird sich für alle beteiligten Parteien mehrfach auszahlen, und zwar zwis­chen­men­schlich wie auch wirtschaftlich.

Ein Blick in die Sit­u­a­tion der ange­hen­den Pen­sion­is­ten

Die Frage der Pen­sion und der entsprechende Umgang damit, ist selb­stver­ständlich sehr indi­vidu­ell und unter­schiedlich. Unab­hängig vom per­sön­lichen Zugang ist es aber immer ein sehr emo­tionaler Prozess, welch­er sowohl die beru­flichen wie auch die per­sön­lichen Lebenswel­ten stark bet­rifft. Zudem sind für den einzel­nen wie auch für die Fam­i­lie oft weitre­ichende wirtschaftliche Kon­se­quen­zen damit ver­bun­den.

Es geht nicht allein um die Klärung des Pen­sions­da­tums, son­dern um die langfristige Auseinan­der­set­zung mit einem ein­schnei­den­den Abschnitt im Leben. Das begin­nt meis­tens lange vor dem soge­nan­nten Datum mit Über­legun­gen in Bezug auf das Was, Wie, Wann… und endet lange nach dem Pen­sion­santritt und der Iden­ti­fika­tion mit dem neuen Lebens­ab­schnitt. Wichtig ist dabei, einen anpas­sungs­fähi­gen Plan als gemein­same Ori­en­tierung zu haben.

Ein Datum für den Pen­sion­santritt zu set­zen ist den­noch wichtig, damit dieser Prozess ern­sthaft in Bewe­gung kommt. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Vorstel­lun­gen darüber, wie die Pen­sion bzw. der Über­gang ausse­hen soll, mehrmals ändern kön­nen. Ungeachtet der Hal­tung des Unternehmens sind diese Find­ungsphasen für die Einzel­nen und deren Umfeld sehr wichtig.

Der Pen­sion­sprozess ist für viele ein­er der schwierig­sten Leben­sphasen über­haupt. So gilt es nach vie­len Jahren Kon­ti­nu­ität, Rou­tine und einge­spiel­ten Mech­a­nis­men das Leben im fort­geschrit­te­nen Alter nochmals völ­lig neu zu definieren. Das ist mit Neu­land und damit mit Unsicher­heit ver­bun­den. Es ist deshalb auch nicht ver­wun­der­lich, dass diese Phase oft mit Abwehr, Fes­tk­lam­mern, Ver­drän­gung oder Iden­ti­fika­tion­ssuche ver­bun­den ist. Oder um einen Kol­le­gen zu zitieren: „Sich mit der Pen­sion auseinan­derzuset­zen heißt nichts anderes, als einem bish­er geregel­ten Leben auf Wieder­se­hen zu sagen. Das bet­rifft alles; die Arbeit, die Woch­enen­den, die Ferien…“

„Was werde ich nach mein­er Pen­sion machen?“- ist nur eine der her­aus­fordern­den Fra­gen in diesem Prozess. Dabei geht es expliz­it nicht nur darum, wom­it man sich konkret beschäftigt, son­dern vor allem darum, wie man per­sön­liche Genug­tu­ung find­et und zu einem gesun­den Selb­st­wert auch in der neuen Leben­sphase kommt. Wie find­et die Iden­ti­fika­tion mit wirk­lichen Inhal­ten statt und welche Form der Anerken­nung ist damit ver­bun­den? Um aber­mals eine Betrof­fene Per­son zu zitieren: „Mir wurde klar, dass ich mein soziales Leben neu gestal­ten muss. Es ist ein ständi­ger Prozess zwis­chen Vor­freude und har­ter Arbeit, mein bish­eriges Engage­ment gilt es loszu­lassen und neue Wirkungs­felder zu find­en. Der Prozess der Fam­i­lie, die sich auch nicht nur auf meine ständi­ge Präsenz freut, ist auch nicht zu unter­schätzen.“

Einige Über­legun­gen aus Sicht des Unternehmens

Die let­zte Phase im Arbeit­sleben von langjähri­gen Mitar­bei­t­en­den ist eine der am wenig­sten genutzten Ressourcen in Unternehmen. Oder noch klar­er for­muliert: Während sich alle über den Fachkräfte­man­gel bekla­gen und einen regel­recht­en «War for tal­ents» führen, wird hier eine der größten, brach­liegen­den Chan­cen oft unbeachtet liegen­ge­lassen oder sprich­wörtlich aufs «Abstell­gleis» gestellt.

Wie oft wird die Zeit bis zur Pen­sion regel­recht aus­ge­sessen und abge­wartet? Warum wer­den das Know-How und die Erfahrun­gen in der let­zten Arbeit­sphase nicht als strate­gis­che Möglichkeit gese­hen, ange­sprochen und mit geziel­ten Maß­nah­men genutzt? Ein kluger und gut angelegter Prozess wird genau diese Aspek­te auf­greifen und dazu führen, dass die Energien von ver­di­en­ten Mitar­bei­t­en­den zum Nutzen des Unternehmens einge­set­zt wer­den kön­nen und alle Beteiligten davon prof­i­tieren. Wir sprechen damit von einem wichti­gen Beitrag zum geziel­ten Wis­sens­man­age­ment und zur verbesserten Zusam­me­nar­beit zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen.

Damit das gut gehen kann braucht es einen respek­tvollen Umgang miteinan­der und vor allem eine neue Hal­tung zum The­ma und zur Frage, wie und wo die Erfahrun­gen am besten einge­set­zt wer­den kön­nen. Wenn das The­ma mit der richti­gen Absicht, respek­tvoll und rechtzeit­ig als inte­graler Bestandteil des Arbeit­slebens aufge­grif­f­en wird, wird das auch gelin­gen. Übri­gens mit wenig Mehraufwand und einem x‑fachen Out­put. Dadurch wird das Pen­sion­s­the­ma ent­tabuisiert, wir sprechen nicht mehr vom «alten Eisen», son­dern schaf­fen ein angst­freies Umfeld, indem die emo­tionalen Schwankun­gen nor­mal sind. Sie müssen nicht mehr beschämt ver­steckt wer­den, son­dern kön­nen legit­imiert zur Find­ung von gemein­samen Lösun­gen einge­set­zt wer­den.

Gutes «Pen­sion­s­man­age­ment» leis­tet einen entschei­den­den Beitrag zum «Employ­er Brand­ing.» Es ist nicht neu, dass «Mund-zu-Mund Empfehlun­gen» eine enorm hohe Wirk­samkeit haben und damit einen wichti­gen Beitrag zur Rep­u­ta­tion des Unternehmens leis­ten. Wie ein Unternehmen sich von Mitar­bei­t­en­den tren­nt, wie die Men­schen darüber sprechen und wie sie in diesen heiklen Phasen behan­delt wor­den sind, spielt dem­nach eine große Rolle und wird mitunter darüber entschei­den, welche kün­fti­gen Tal­ente das Unternehmen auch wieder anzieht (damit wären wir wieder beim «War for tal­ents»).

Zu guter Let­zt ist da noch das Koste­nar­gu­ment. Selb­st kurzfristig sprechen wir von ein­er lohnen­den Investi­tion. Betra­cht­en wir die brach liegen­den Möglichkeit­en, die läh­mende Frus­tra­tion und die verun­sicherten Vor-Pen­sion­is­ten, die sich — neu — bere­its kurzfristig und angst­frei in Pro­jek­ten und The­men ein­brin­gen kön­nen, dann haben alle Seit­en einen unmit­tel­baren Nutzen und die präven­tiv­en Aufwände für die struk­turi­erte und pro­fes­sionelle Begleitung sind in kürzester Zeit mehr als gedeckt. Ger­ade das Erfahrungswis­sen und das tief­ere Unternehmensver­ständ­nis sind viel zu sel­ten genutzte und unter­schätzte Ressourcen.

Umgekehrt müsste man die Über­legung anstellen, welche direk­ten und vor allem indi­rek­ten «sozialen Reparaturkosten» anfall­en, wenn die geziel­ten Off-board­ing Maß­nah­men nicht struk­turi­ert ange­gan­gen wer­den.

Schluss­wort

Ein struk­turi­ert­er Work­flow und die bewusste Begleitung der Pen­sions­frage zu einem frühen Zeit­punkt zahlt sich nicht nur aus, son­dern kann zu einem Einzi­gar­tigkeits-Merk­mal (USP) des Unternehmens aus­ge­baut wer­den. Dieses ganzheitliche Ver­ständ­nis der Per­son­alen­twick­lung ist ver­trauens­bildend für Teams und Part­ner und stärkt die Zusam­me­nar­beit­skul­tur.

Als strate­gis­che Auf­gabe ver­standen bietet der Off-board­ing Prozess eine große Lern­chance zwis­chen den Gen­er­a­tio­nen und macht den Nutzen der besten Aspek­te aus bei­den Wel­ten erleb­bar. Oder wie es der Kol­lege tre­f­fend for­mulierte: «Hun­gry spir­its meet wise men.»

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Urs Bolter

Als «Teilzeit-Copilot» helfe ich Organisationen dabei, die gewünschten Entwicklungen in einem qualitativen Miteinander zu meistern. Manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich ein weltreisender Arzt, Klempner, Architekt, Diplomat oder pädagogischer Unternehmer mit einer sportlichen Seite.